Über Transformation
Buhlebezwe Siwani • Yuken Teruya • Dr. Renate Wiehager
„Friendship. Nature. Culture.“ Unter diesem Motto zeigt die Jubiläumsausstellung der Mercedes-Benz Art Collection in Berlin Werke der letzten 100 Jahre. Es folgt ein Gespräch zwischen der Kuratorin und zwei der teilnehmenden Künstler über den Umgang mit der Natur, Verantwortung und die Stille der Pandemie.

Buhlebezwe Siwani
Künstlerin

Yuken Teruya
Künstler

Dr. Renate Wiehager
Kuratorin der Mercedes-Benz Art Collection
Welche Idee steckt hinter dem Titel der Ausstellung?

Vor dem Hintergrund der Klimakrise und der Auswirkungen menschlichen Handelns wird deutlich, wie sehr menschliche Solidarität, Natur und Kultur miteinander verwoben sind. Der Titel wurde auch von der deutsch-amerikanischen Philosophin Hannah Arendt inspiriert, die Freundschaft als einen ständigen Diskurs definierte, der auf der Akzeptanz von Differenz und Vielfalt beruht. In diesem Sinne wollten wir den Ideen von Freundschaft, Natur und Kultur in der Ausstellung eine physische Form geben. Wir wollten auch ein Gespräch über diese Begriffe anregen, indem wir sie aus verschiedenen philosophischen und ästhetischen Blickwinkeln betrachteten.
So wie die Perspektive, die uns Yuken Teruya mit seiner Serie von Papierbäumen bietet, die er aus Papiertüten schneidet? (siehe Bild)

Ja. Yukens Kunstwerke erinnern mich an kleine Theaterszenen. Diese kleinen Bäume ziehen einen sofort an. Sie sind so zerbrechlich. Du hast Angst, dass allein dein Atem das zerstören könnte, was du siehst. Es ist eine sehr interessante Erfahrung, auch eine körperliche. Wer tiefer eintaucht, stellt fest, dass Yuken mit uns sehr viele Gedanken und Recherche über unsere Wegwerfgesellschaft teilt.

Danke, Renate. Bei deiner Ausstellung „Friendship. Nature. Culture.“ in Berlin habe ich diese verschiedenen Arten von Natur gespürt. Ich habe Natur aus der Vergangenheit erlebt, Natur aus der Erinnerung. Aber auch ein neues Verständnis von Natur, das von unserer digitalen Welt inspiriert ist. Außerdem war ich ein wenig beunruhigt über den Zustand der Natur. Ich spürte meine Verantwortung.


Notice-Forest Louis Vuitton, 2019
Papiertüte, Klebstoff. 25 x 35 x 11,5 cm, Einzelstück
Mercedes-Benz Art Collection, Stuttgart/Berlin. Erworben 2021
© Markus Braun
Gespräche zwischen Unternehmen und Bäumen
Sie meinen Ihre Verantwortung als Künstler?

Ja. Ich möchte meine Vision der Natur teilen und Emotionen wecken. Einen Baum in einer Papiertüte darzustellen, spielt auf die Zerbrechlichkeit der Natur an. Das ist ein emotionaler Aspekt. Wenn die Menschen den Baum sehen, wollen sie ihn schützen. Zugleich ist das Werk ein Gespräch zwischen einem Unternehmen und einem Baum. Eine Tasche kann als Teil eines Unternehmens gesehen werden und der Baum steht für die Natur. Die Natur sollte geschützt werden. Und meiner Meinung nach schützt die Tasche auch die Natur und pflegt sie. Ich freue mich also, Teil der Ausstellung zu sein, und ich lasse mich auch gerne von anderen Künstlern inspirieren. Die Kunst von Buhlebezwe zum Beispiel beschäftigt sich auf einer anderen Ebene mit der Beziehung zwischen Natur und Kultur.

Ja, das ist richtig. Buhlebezwe Siwani beschäftigt sich in ihrem Werk mit den Auswirkungen des Kolonialismus in ihrem Heimatland Südafrika. Ihre Kunst wirft Fragen nach vergangenen und gegenwärtigen Räumen auf und danach, wem diese Räume gehören. Sie ist auch ein sehr spiritueller Mensch. In der Ausstellung sehen wir sie in einer holländischen Landschaft, in der sie ihre Vorfahren, „Mnguni“ genannt, mit einer Art spiritueller Geste einlädt, sich mit ihr in ihrem neuen Land niederzulassen (siehe Bild).
Bitte erzählen Sie ein wenig mehr über Ihre Kunstwerke, Buhlebezwe.

„Mnguni“ sind eine besondere Gruppe von Ahnen, die eine menschliche Gestalt haben. Ein Teil meines Erbes ist darin verwurzelt. Ich glaube, dass ich, wenn ich an einen anderen Ort umziehe, wie beispielsweise an meinen Arbeitsplatz in den Niederlanden, auch diesen Teil meines physischen Selbst in den neuen Raum einführen muss.
Respekt für die Räume, in denen wir leben
Gibt es Ihrer Meinung nach in den beiden Ländern unterschiedliche Auffassungen von Natur?

Ja, auf jeden Fall. Bevor ich in die Niederlande kam, hatte ich noch nie gesehen, dass Lebensmittel für eine ganze Nation in einem Gewächshaus angebaut werden. Das war für mich schockierend. Ich war an Lebensmittel gewöhnt, die auf Feldern angebaut wurden. Von diesem Standpunkt aus war es interessant zu sehen, wie wir leben und wie wir den Planeten behandeln. Ich denke immer gerne an die Verantwortung und den Respekt für die Räume, in denen wir leben. Weil die Räume etwas bedeuten. Sie bedeuten uns etwas und sie haben unseren Vorfahren etwas bedeutet. Die Erde ist nicht nur Erde. Der Boden bedeutet etwas, ebenso wie die Luft, die wir atmen. Diese Dinge bilden ein Ökosystem, das sich gegenseitig nährt. Das ist interessant.
Was ist Ihre persönliche Einstellung zur Natur?

Ich weiß nicht, wie ich die Frage beantworten soll, denn in meiner Sprache haben wir kein einziges Wort für Natur in dem Sinne, dass sie eine von uns Menschen getrennte Sphäre ist. Meines Erachtens sind wir ohne sie null und nichtig. Wir sind nichts anderes als ein Teil von ihr.
In Ihrer Kunst beschäftigen Sie sich oft mit Verantwortung. Angesichts der Dimensionen und der Komplexität der aktuellen Klimakrise fühlen sich viele Menschen machtlos. Wie sehen Sie das? Was können wir tun?

Diese Frage kann ich ganz kurz beantworten: Wenn wir alle Verantwortung für das übernehmen würden, was wir tun könnten, wären wir sicher nicht in dieser Lage. So einfach ist das. Wenn wir alle die Erde respektieren würden, gäbe es die Klimakrise nicht. Wir können die Dinge aber auch umkehren. Wenn du selbst nur ein Prozent des Unterschieds ausmachst, ist das schon wichtig.
Yuken, was ist Ihre Perspektive?

Ich stimme zu. Jeder einzelne Mensch zählt. Die Verantwortung kann jedoch nicht auferlegt werden. Es ist vielmehr ein Gefühl, das in uns selbst entstehen sollte, aus unserem eigenen Geist und unserer Sensibilität. Bildung hilft zu bestätigen und zu erkennen, was passiert. Aber wer es fühlt, für den ist es realer und kann darauf basierend handeln. Ich denke viel darüber nach, was Buhlebezwe uns über die Vorfahren und die „Mnguni“ erzählt hat. Ich habe ihre Arbeit in Berlin gesehen. Sie warf bei mir Fragen und Emotionen über ihr Heimatland und über die Niederlande auf. Aber jetzt, wo ich über ihre Vorfahren Bescheid weiß, kann ich sie auf einer anderen Ebene verstehen. Deshalb denke ich, dass persönliche Verantwortung bei jedem irgendwann ausgelöst werden muss, damit sie dich mit Feingefühl handeln lässt. Und genau das können wir, meiner Meinung nach, auch als Künstler tun.
Die Verantwortung, Menschen mit Kunst zu bewegen
Sie meinen, Sie wollen die Menschen anregen und ihnen ein Gefühl für ihre Verantwortung geben?

Textbasierte Informationen erleichtern natürlich den Zugang zu Wissen. Aber die visuellen Aspekte eines Kunstwerks umfassen viel mehr. Ich komme auch aus einer Familie, die eine starke Verbindung zu ihren Vorfahren hat. Für mich hängt die Verantwortung also mit meinem Hintergrund zusammen. Das bringt mir eine andere und sehr starke Realität.

Ich stimme mit Yuken überein. Alles ist miteinander verbunden. Es ist eine symbiotische Beziehung, in der nichts für sich allein steht. Und wie Yuken schon sagte, ist es auch eng mit der Abstammung verbunden. Wir hätten einige ihrer Praktiken beibehalten sollen. Ich glaube, dass viele alte Kulturen besser wussten, wie man die Erde respektiert. Als Künstler haben wir die Verantwortung, zu zeigen was passiert, eine Aussage darüber zu machen. Wenn die Kunst die Menschen nicht bewegt, warum sollte sie dann existieren?
Glauben Sie, dass wir unsere Verbindung zur Natur verloren haben?

Nein, es gibt noch eine Verbindung. Wir sind sensibel, unser Bewusstsein und unser Unterbewusstsein sind immer noch Teil der Natur. Aber es gibt auch viele Geräusche und Störungen, sodass diese Gefühle verloren gehen können. Impulse, wie die der Ausstellung der Mercedes-Benz Art Collection in Berlin, regen zum Nachdenken an. Künstler und Kuratoren können Menschen zusammenbringen und uns helfen voranzukommen.
Ein Raum für Konversation
Was kann Kunst leisten, was Fakten nicht können?

Kunst kann ohne Worte sprechen.

Ja. Und sie erweitert unsere Vorstellungskraft.

Als Teil einer Kunstsammlung schafft sie Raum für Gespräche, Ideen und Visionen.
Sind Sie zuversichtlich, dass es uns als Menschheit gelingen wird, den Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft zu schaffen?

Es gibt keine andere Wahl. Aber wie wir es schaffen wollen, da gibt es viele Möglichkeiten zu handeln. Ich werde hoffnungsvoll bleiben und versuchen, eine Vision zu entwerfen, wie diese Zukunft aussehen kann.

Menschen neigen dazu, nur über ihre eigene Lebensspanne nachzudenken und nicht darüber hinaus. Ich möchte jedoch weiter hoffen. Sicherlich weiß die Erde, wie sie überleben kann. Sie ist in der Lage, sich anzupassen.

Und wir können auch lernen, uns anzupassen. Wenn man an die COVID-19-Pandemie denkt, wissen es vor allem in den Städten viele Menschen zu schätzen, dass es weniger Lärm und Emissionen gibt. Für mich war das wie eine unerwartete Entdeckung.

Die Menschen müssen lernen, still zu sein. In Südafrika kamen während COVID-19 sogar Tiere zum Vorschein, die ich noch nie gesehen hatte. Sie konnten sich frei bewegen. Wir teilen diesen Ort. Er gehört uns nicht. Wir tragen alle eine Verantwortung.
Buhlebezwe Siwani
ist vor allem in den Medien Performance und Installation tätig. Siwani verwendet häufig Videos und Standbilder als Repräsentation für ihren Körper, der im Raum physisch abwesend ist. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Amsterdam und Kapstadt.
Yuken Teruya
arbeitet mit verschiedenen Materialien wie Papierrollen, Papiertragetaschen und Schmetterlingspuppen. Seine Ideen spiegeln oft das Leben und die Geschichte seiner Heimat, der japanischen Präfektur Okinawa, wider. Er lebt in Berlin und New York City.
Dr. Renate Wiehager
ist seit 2001 die Leiterin der Mercedes-Benz Art Collection in Stuttgart und Berlin sowie des Ausstellungsraumes Mercedes-Benz Contemporary, Berlin. Sie studierte Kunstgeschichte, Theologie, Literatur und Philosophie und ist promovierte Kunstwissenschaftlerin. Sie veröffentlichte mehr als 250 Publikationen zur internationalen zeitgenössischen Kunst sowie ca. 300 Aufsätze zur Kunst des 20. Jahrhunderts in Fachzeitschriften, Sammelbänden und Katalogen.


Mercedes-Benz Art Collection
Die Mercedes-Benz Art Collection bietet einen offenen Raum für die Diskussion von zeitgenössischen Themen und Phänomenen. Sie richtet sich sowohl an die Beschäftigten des Unternehmens als auch an die kunstinteressierte Öffentlichkeit. Die Mercedes-Benz Art Collection wird kontinuierlich erweitert und spiegelt damit auch aktuelle Entwicklungen in der Kunst wider.
Mehr Informationen finden Sie zur Mercedes-Benz Art Collection unter mercedes-benz.art.