2021 hat die Veröffentlichung des ersten Teils des sechsten IPCC-Sachstandsbericht verdeutlicht: Die Welt muss jetzt handeln, um die Folgen des Klimawandels zu begrenzen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und der Austausch mit Experten bilden bei Mercedes-Benz die Basis für den notwendigen technologischen Fortschritt. Nur so können wir unser Ziel der CO2-Neutralität bis 2039 erreichen.
Fakten beeinflussen unser Verhalten nur begrenzt
INTERVIEW MIT Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Uni Rostock. Er forscht seit 25 Jahren zu Recht, Ethik, Politik und Transformationsbedingungen der Nachhaltigkeit. Felix Ekardt ist politikberatend tätig und Autor einer Vielzahl von Fachbeiträgen. In 2021 erwirkte er mit der Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß zudem den beachteten Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik1. Wir haben ihn nach seiner Meinung zu zentralen Fragen der Klimadebatte gefragt.

Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt
Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin
Ein häufig verwendetes Argument gegen mehr Klimaschutz lautet, dass dadurch vor allem Menschen mit geringem Einkommen übermäßig belastet werden. Wie sehen Sie das?
Es geht darum, dass die Freiheitschancen zwischen den Generationen fairer ausbalanciert werden müssen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss bestätigt. Für den sozialen Ausgleich ist Klimaschutz eher gut als schlecht. Denn der Klimawandel selbst brächte ein weit größeres soziales Verteilungsproblem als eine noch so radikale Klimapolitik.
Was heißt eigentlich klimagerecht für Sie? Wer muss Ihrer Meinung nach zugunsten von wem in den Ausgleich gehen?
Beim Klimaschutz konkurriert die Freiheit der hier und heute Produzierenden und Konsumierenden mit dem Recht auf die elementaren Freiheitsvoraussetzungen Leben, Gesundheit und Existenzminimum aller Menschen – und zwar weltweit und auch bezogen auf künftige Generationen. Die demokratische Mehrheit hat dabei einen Gestaltungsspielraum. Verfassungsgerichte haben die Aufgabe, bestimmte Grenzen des Abwägens zu sichern. Genau deshalb ist das Bundesverfassungsgericht eingeschritten, denn wir sind dabei, das knappe Restbudget, das uns zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels noch bleibt, in kürzester Zeit zu verbrauchen.


Wie ordnen Sie die Ergebnisse des IPCC mit Blick auf Klimagerechtigkeit und auf die Automobilindustrie ein?
Nachhaltigkeit erfordert ein Leben und Wirtschaften, das dauerhaft und global durchhaltbar ist. Wir müssen zur Lösung diverser Umweltprobleme wie Klimakrise, Biodiversitätsverlust, gestörte Stickstoff- und Phosphorkreisläufe, Boden-, Luft- und Gewässerbelastungen bestimmte Treiber der Zerstörung hinter uns lassen. Nötig sind null fossile Brennstoffe und rund drei Viertel weniger Nutztierhaltung und Pestizide. Dann wären diese Probleme weitgehend gelöst. Die rechtsverbindliche 1,5-Grad-Grenze des Paris-Abkommens impliziert, dass wir all das bis Anfang der 2030er-Jahre weltweit und in allen Sektoren umsetzen, also auch im Verkehrsbereich. Fossile Antriebe dürfen danach nicht mehr genutzt werden. Daran ändern auch mögliche Kompensationen von Treibhausgasemissionen im Moor- oder Forstmanagement nichts. Denn die brauchen wir für lebenswichtige Restemissionen etwa in der Lebensmittelproduktion.
Der Sündenbock sind immer die Anderen
Warum fällt es uns so schwer, das Wissen über die Schädlichkeit fossiler Brennstoffe und übermäßigen Fleischkonsum in konkrete Handlungen zu überführen?
Faktenwissen und Werthaltungen, also Bewusstseinsaspekte, beeinflussen unser aller Verhalten nur begrenzt. Bei Bürgern, Politikern, Managern und allen anderen sind andere Faktoren oft wichtiger. Etwa Eigennutzenkalküle, Pfadabhängigkeiten und der nicht durch Einzelne kontrollierbare Kollektivgutcharakter des Klimas. Wichtig sind auch Normalitätsvorstellungen, die oft mit Werthaltungen verwechselt werden. Es erscheint irgendwie „normal“, täglich Fleisch zu essen, ein paarmal im Jahr in den Urlaub zu fliegen und mit der Zeit immer wohlhabender zu werden. Am wichtigsten sind vielleicht emotionale Faktoren. Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung, die Neigung zu Ausreden, die Unvorstellbarkeit von Komplexität – und besonders die Neigung, andere zum Sündenbock zu machen. Irgendwie sind doch die Chinesen oder Donald Trump am Klimawandel schuld, ich selbst bin doch super. Auch wenn wir in Deutschland einen der größten Pro-Kopf-Klimafußabdrücke weltweit haben.
Ist „grüner“ Konsum ein legitimes Mittel, um auf der individuellen Ebene einen fairen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten?
Gesellschaftlicher Wandel geschieht im Wechselspiel diverser Akteure, die alle den genannten Motivationsfaktoren unterliegen. Die politische Sphäre ist bevölkert von Politikern, Bürgerinnen, Lobbyisten, Journalistinnen, die wie in Teufelskreisen voneinander abhängen. Ferner hängt die Politiksphäre wechselseitig zusammen mit der Produktions- und Konsumsphäre, die letztlich von den gleichen Leuten bevölkert wird, die wiederum wechselseitig voneinander abhängen. Es hängt also an einem Zusammenspiel vieler Akteurinnen, wenn der Rahmen für unseren Konsum anders gesetzt werden soll. Grüner Konsum kann ja sowohl Technikwandel als auch Verhaltenswandel bedeuten. Beides wird für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze nötig sein. Und im Wechselspiel des Wandels ist sowohl freiwilliger grüner Konsum als auch politische Festlegung in Richtung eines anderen Lebens und Wirtschaftens nötig.


Eine andere Politik fordern und fördern
Was genau meinen Sie mit politischer Festlegung?
Eine andere Politik ist nur möglich, wenn sie von uns allen eingefordert wird – also rein in die Parteien, rein in die Verbände, hin zu den Demos. Und eine andere Politik setzt auch voraus, dass möglichst viele Menschen schon mal im persönlichen Bereich vormachen, wie man anders leben und wirtschaften kann. Nur durch ein solches Zusammenwirken können die diversen Teufelskreise zwischen allen Beteiligten und Sphären durchbrochen werden. Der Verweis auf einzelne Akteure ist sinnlos, das wäre ein Henne-Ei-Spiel. Und keinesfalls geht es allein um mehr Faktenwissen und Werthaltungen. Wenn wir im politischen Rahmen und im persönlichen Handeln die Weichen für null fossile Brennstoffe und weniger Tierhaltung und Pestizide stellen, gehen diese Schädigungsfaktoren ganz oder teilweise aus dem Markt – durch Technikwandel und durch Verhaltenswandel.
Wie sieht der Weg in diese neue Normalität für Sie aus?
Das zentrale politische Instrumentarium muss auf EU-Ebene ansetzen, sonst verlagert man Probleme nur in andere Länder. Etabliert man einen verbesserten Emissionshandel, der sämtliche fossile Brennstoffe und in ähnlicher Form auch tierische Produkte und Pestizide abdeckt, macht man sein Reduktionsziel ambitionierter als bislang und schließt man sämtliche Schlupflöcher – und all das in höchstens 15 Jahren –, kann man die global verbindlichen Klima- und Umweltziele noch erreichen. Ergänzend müsste die EU gemeinsam mit weiteren Ländern, die einen ähnlichen Weg gehen, Ökozölle gegenüber Ländern einführen, die nicht mitspielen, sonst käme es wiederum zu Emissionsverlagerungen dorthin. Beim Einzelnen kommen dann zeitweise stark steigende Preise, zum Beispiel auf fossile Brennstoffe an, die uns zu Technik- und Verhaltenswandel hinlenken. Und irgendwann sind die Fossilen dann schlicht nicht mehr im Markt, wenn man den Emissionshandel auf null Fossile etwa im Jahr 2035 ausrichtet.
Weniger Konsum und klimaneutrale Produkte
Verhaltenswandel heißt ja auch, dass wir unsere Einstellung zum Konsum überdenken müssen. Aus der Unternehmensperspektive gefragt: Lässt sich mit dem genügsamen Konsumenten ausreichend Geld verdienen, um Arbeitsplätze zu sichern?
Technikwandel schafft Wachstum und Arbeitsplätze. Weniger Konsum dagegen führt uns möglicherweise in die Postwachstumsgesellschaft. Unternehmen, Arbeitsmarkt und Sozialversicherung werden dafür neue Konzepte benötigen. Für das einzelne Unternehmen ist es sinnvoll, sich möglichst frühzeitig auf emissionsfreie Dienstleistungen und Produkte hin auszurichten.


Was meinen Sie: Ist es aus klimapolitischer Sicht richtig, den Verkehr in den nationalen Emissionshandel einzubeziehen?
Das ist ein erster Schritt hin zum geschilderten erweiterten EU-Emissionshandel. Die größte Frage an die neue Ampelregierung ist, ob sie die Vorschläge der EU für mehr Klimaschutz akzeptiert. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste sie auf eine weitere Verbesserung der EU-Vorschläge drängen, etwa auf ein ambitionierteres EU-Reduktionsziel und auf ein konsequenteres Schließen von Schlupflöchern des Emissionshandels.
Wie sähe aus Ihrer Sicht ein überzeugendes Zukunftsnarrativ aus? Und welche Rolle könnten Automobilhersteller darin haben?
Automobilhersteller werden statt auf Verkaufen stärker auf Leasing und Sharing setzen müssen. Und sie werden allgemeine Mobilitätsdienstleister werden müssen. Alle Leistungen müssen dabei komplett postfossil sein.
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt
leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Uni Rostock. Er forscht seit 25 Jahren zu Recht, Ethik, Politik und Transformationsbedingungen der Nachhaltigkeit. Er erwirkte 2021 mit der Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß den weltweit beachteten Beschluss des BVerfG zur Klimapolitik.
1 1 BvR 2656/18, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20
Auf einen Blick: Der aktuelle Zustand des Klimas
Das „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) ist das Gremium der Vereinten Nationen zur Bewertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel. Mit seinem Sechsten Sachstandsbericht informiert es über den Klimawandel, dessen Ursachen, mögliche Auswirkungen und Reaktionsmöglichkeiten. Die unten stehende Grafik veranschaulicht die wichtigsten Erkenntnisse zum aktuellen Stand des Klimasystems und des Klimawandels. Weitere Informationen über die Arbeit des IPCC sowie den aktuellen Bericht finden Sie hier.



Wir haben schon viel mehr erreicht, als anfangs denkbar war
Die Veröffentlichung des ersten Teils des Sechsten IPCC-Sachstandsberichts hat 2021 mit harten Fakten zum Status quo des Klimawandels und möglichen Folgeszenarien klargemacht: Es ist nicht kurz vor, sondern bereits fünf nach zwölf. Gesellschaft, Wirtschaft und Politik müssen handeln! Jana Krägenbring-Noor, Leiterin der Abteilung Konzern Umweltschutz und Energiemanagement, verrät in diesem Namensbeitrag, was es für die nachhaltige Transformation eines Weltkonzerns braucht – und warum kein Weg an einer nachhaltigen Geschäftsstrategie vorbeiführt.

Jana Krägenbring-Noor
Leiterin der Abteilung Konzern Umweltschutz und Energiemanagement bei der Mercedes-Benz AG
Wenn ich im Urlaub an der Ostsee in den Sonnenuntergang schaue und die Seevögel am Horizont beobachte, dann ziehe ich daraus nicht nur Kraft, sondern werde mir auch einer Sache sehr bewusst: Wie wichtig es ist, Natur und Mensch in der Balance zu halten. Mit diesem Ziel vor Augen starte ich morgens meinen Laptop - und bin froh darüber, nachhaltiges Handeln in einem Unternehmen wie Mercedes-Benz mitsteuern zu dürfen. Vor rund vier Jahren gab es für mein Team und mich eine wichtige Aufgabe: Im Unternehmen ein noch stärkeres Bewusstsein dafür schaffen, wie sich unser Handeln auf die Umwelt auswirkt. Nachhaltigkeit gehört ins Zentrum des Geschäfts - und es ist nicht allein damit getan, lokal emissionsfreie Autos auf die Straße zu bringen.
Nachhaltigkeit muss für jeden Mitarbeitenden handlungsleitend sein
Vielmehr bedeutet eine nachhaltige Geschäftsstrategie, Nachhaltigkeit in alle Prozesse entlang der Wertschöpfungskette zu integrieren – ein großes Vorhaben, das nur dann erfolgreich sein kann, wenn alle mitwirken. Mein Team und ich sind hier kontinuierlich als Impulsgeber und Treiber des Strategie- und Umsetzungsprozesses stark gefordert. Die richtigen Fragen müssen sozusagen in die Genetik der Organisation übergehen: Wo ist Klima- und Umweltschutz relevant für meine Aufgaben und welche Aspekte muss ich bedenken? Was bedeutet diese Entscheidung für den Ressourcenverbrauch und den CO2-Fußabdruck? Wo kann ich auch unabhängig von Leistungsindikatoren besser werden? Hier haben wir schon große Schritte gemacht und das nicht nur bei der Fahrzeugentwicklung und in der Produktion.


Einfluss auf die hohe Veränderungsdynamik haben zunehmend auch Investoren, die nachhaltiges Handeln zur Bedingung machen. Eine Antwort darauf war der erste grüne Bond in Höhe von einer Milliarde Euro, den die Mercedes-Benz Group im September 2020 begeben hat. Im März 2021 folgte die zweite grüne Anleihe in gleicher Höhe. Mit dem Nettoerlös aus den Emissionen werden ausschließlich grüne Projekte finanziert. Investoren können sich also direkt an den Nachhaltigkeitszielen beteiligen, während wir uns die Liquidität für wichtige Zukunftsinvestitionen sichern.
Schließlich sind unsere eigenen Anstrengungen als Unternehmen in den rechtlichen Rahmen eingebettet, der von der Politik vorgegeben wird. Darin sind zum Beispiel die Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen umzusetzen, sodass Vorgaben und Anreize nicht nur für Einzelne, sondern für die Gesellschaft als Ganzes gesetzt werden – denn nur so kann das Klima nachhaltig und effektiv geschützt werden. Auf europäischer Ebene werden Fahrzeugherstellern beispielsweise Flottengrenzwerte vorgegeben – wobei wir mit den Zielen unserer Ambition 2039 über diese Vorgaben hinausgehen.
Bis 2039 wollen wir CO2-neutral werden – das Ziel, das wir uns im Mai 2019 mit der besagten Ambition 2039 vorgenommen haben, hat seitdem enorm an Dynamik gewonnen, intern wie extern. In meinen Augen sind wir binnen zwei Jahren deutlich weitergekommen, als anfangs denkbar erschien. Die Entscheidung des Vorstands, Nachhaltigkeitsziele für alle Bereiche zu setzen, ist aus meiner Sicht die Basis für diesen Erfolg: Umweltschutz wird direkt im Arbeitsalltag gesteuert und gelebt.
Es macht mich stolz, dass wir unsere für 2021 definierten Ziele in manchen Bereichen sogar übertroffen haben. Zum Beispiel ist es uns gelungen, den Kobaltanteil an den Kathoden der Batteriezelle des EQS auf weniger als zehn Prozent und damit deutlich gegenüber vorherigen Batteriegenerationen zu verringern. Und auch unser Einkauf hat große Fortschritte gemacht: Mercedes-Benz hat zum Beispiel im Rahmen seiner strategischen Partnerschaften mit den Batteriezellenpartnern CATL, ACC und Farasis den Bezug von CO2-neutral produzierten Batteriezellen vereinbart. Ab dem EQS beziehen wir nur noch CO2-neutral produzierte Batteriezellen für unsere neuen vollelektrischen Pkw-Modelle. Damit werden etwa 30 Prozent der Emissionen der Batterieherstellung eingespart.
Schritt eins: (Öko-)Bilanz ziehen
Doch woher wissen wir eigentlich, wo der Handlungsbedarf besonders dringlich ist oder Reduktionsmaßnahmen besonders wirkungsvoll sind? Hier gilt für alle Bereiche erst einmal das Gleiche: Wir setzen auf detaillierte Auswertungen unseres Verbrauchs. Mein Team und ich konzentrieren uns dabei auf die Frage, wie wir mit einem ganzheitlichen Ansatz die Umweltverträglichkeit der Produkte steigern und Umweltauswirkungen reduzieren können. Denn wer seine Ökobilanz nachhaltig verbessern will, braucht den 360°-Blick – über den gesamten Lebenszyklus: Welche Belastung bringen bereits die Rohstoffe mit? Wie viel Energie wird für die Produktion benötigt, welchen Einfluss haben die verschiedenen Antriebsstränge in der Nutzungsphase auf die CO2-Bilanz und welchen Effekt hat der Einsatz von Rezyklaten? All das können wir inzwischen nicht nur manuell, sondern auch automatisiert, vom Rohstoff bis quasi zur letzten Schraube, auswerten. Dadurch wissen wir ganz genau, welche Hebel wir für mehr Klimaneutralität, Umweltverträglichkeit und weniger Ressourcenverbrauch in Bewegung setzen müssen. Die Ökobilanz des EQS zeigt zum Beispiel, dass wir mit „Electric only“ aus heutiger Sicht auf dem richtigen Weg sind: Seine CO2-Bilanz schneidet im direkten Vergleich zum Verbrenner über den gesamten Lebenszyklus um 80 Prozent besser ab – wenn konsequent mit Grünstrom geladen wird. Bereits nach 20.000 Kilometern gleichen sich dann die höheren Emissionen aus der Herstellung des EQS gegenüber einer konventionellen S-Klasse aus. Das sind Zahlen, die wir vor ein paar Jahren noch als visionär bezeichnet hätten.
Materialien im Kreislauf halten
Wir schauen uns auch die Materialien eines Fahrzeugs genau an. Und übernehmen Verantwortung für unsere Lieferkette, auch wenn wir hier nicht alle Fäden in der Hand haben. Unser Ziel auch hier – wertvolle Ressourcen schonen und so wenig wie möglich Primärrohstoffe einsetzen. Bei Mercedes-Benz haben wir uns deshalb vorgenommen, den Einsatz von Rezyklaten bis 2030 auf einen Anteil von 40 Prozent zu erhöhen. Im Bereich der Kunststoffe sind wir hier schon gut unterwegs: Sitzbezüge aus 100 Prozent recycelten PET-Flaschen, Bodenbeläge aus aufbereiteten Fischernetzen und Stoffresten statt Tuftvelour oder Kabelkanäle aus recyceltem Haushaltsmüll sind bereits im Einsatz. Allein der EQS bringt 80 Kilogramm seines Gesamtgewichts mit ressourcenschonenden Materialien auf die Waage. Ich war wirklich begeistert, als ich den Vision EQXX erleben durfte, den wir im Januar 2022 vorgestellt haben: Hier wurden im Innenraum zum Beispiel zahlreiche Materialien ganz ohne Produkte tierischen Ursprungs verwendet.
95 Prozent eines Fahrzeugs sind heute wiederverwertbar. Auf dem Weg zur Circular Economy müssen wir jedoch bedenken: Der Stahl aus der Altfahrzeugverwertung wandert heute für gewöhnlich nicht in die Produktion eines Neufahrzeugs, sondern eher in den Stahlträger eines Hochhauses. Das ist zunächst schon mal gut, bedeutet aber auch, dass die hochwertigen Automotive Legierungen damit gebunden sind. Wir wollen hier näher an den „Closed Loop“ im Autobau kommen. Bei unseren Hochvoltbatterien legen wir noch vor einem Recycling auf die Wieder- und Weiterverwendung großen Wert: Ist eine Batterie defekt, wird sie für eine Wiederverwendung im Fahrzeug aufbereitet. Eignet sie sich nicht mehr für den Einsatz auf der Straße, wird sie in einem stationären Energiespeicher weiterverwendet, um beispielsweise Energiespitzen im Stromnetz auszugleichen. Erst danach geht es in den Recyclingprozess, um wertvolle Rohstoffe zurückzugewinnen.


Durch technologischen Fortschritt Rohstoffrisiken verringern
Auch wenn die Prozesse rund um das Recycling schon sehr ausgereift sind, stecken in der Batterie wertvolle und teils kritische Rohstoffe. Unser Ziel ist es daher, Einsatzmengen kritischer Rohstoffe pro Fahrzeug kontinuierlich zu verringern. Unsere Fahrzeuge sollen über den gesamten Lebenszyklus möglichst ressourcenschonend und umweltfreundlich sein. Diesen Ansatz nennen wir in der Fahrzeugentwicklung „Design for Environment“. Umso wichtiger ist es, die einzelnen Bestandteile bereits vor der ersten Fahrzeugskizze auf soziale und ökologische Risiken zu prüfen. Hinweise darauf, wie hoch die jeweiligen Risiken ausfallen, gibt die gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin und weiteren Partnern entwickelte Essenzmethode. Diese fragt zum Beispiel danach, wie sich der Rohstoffvorrat auf der Erde verteilt oder, ergänzend zu unserem Human Rights Respect System, inwieweit der Abbau mit Menschenrechtsrisiken verbunden sein könnte. Mithilfe der Ergebnisse gewinnen wir ein klares Bild vom ökologischen, ökonomischen und sozialen Risikopotenzial, das mit dem Einsatz eines Rohstoffs verbunden ist. Insgesamt hat die Mercedes-Benz Group mittlerweile 24 solcher Risikorohstoffe identifiziert – darunter Kobalt und Lithium, die wir künftig ausschließlich aus zertifiziertem Abbau beziehen.
Unser Anspruch geht aber weit über branchenweite Standards hinaus: Mittelfristig wollen wir die Einsatzmenge kritischer Materialien reduzieren, indem wir Rohstoffe als sogenannte „Second Use Raw Materials“ möglichst lange im Kreislauf halten. Gleichzeitig arbeiten unsere Ingenieure mit Hochdruck daran, die Energiedichte der Lithium-Ionen-Technologie zu erhöhen. Auch damit können wir die Verwendung von kritischen Rohstoffanteilen verringern. Mit Erfolg: Der Kobaltanteil der neuen Batteriezellengeneration sinkt bereits auf unter zehn Prozent. Perspektivisch verändern wir die Materialzusammensetzung dann komplett: Während heute vergleichbare Anteile von Nickel, Mangan und Kobalt in den Zellen stecken, könnte Nickel Kobalt in der Lithium-Ionen-Batteriezelle schon bald weitgehend ersetzen. In der Zukunft wollen wir mit der Post-Lithium-Ionen-Technologie bei den Batterien ganz ohne Nickel und Kobalt auskommen.
Mit Grünstrom zur CO2-neutralen Produktion
Auch in der Fahrzeugproduktion haben wir einen großen Sprung gemacht: Der Einsatz nachhaltiger Energie ist 2021 weiter gestiegen, seit 2022 kommt der zugekaufte Strom komplett aus erneuerbaren Quellen und wir produzieren in den Pkw- und Van-Werken von Mercedes-Benz weltweit CO2-neutral. Die Verfügbarkeit von Grünstrom an all unseren Standorten weltweit zeigte sich allerdings als eine zentrale Herausforderung: Die örtlichen Gegebenheiten sind oft sehr unterschiedlich. Nicht immer war grüner Strom verfügbar oder ließ sich ohne Weiteres dorthin führen, wo wir ihn benötigen. Wir haben daher weltweit den Dialog mit den Werken gesucht und individuelle Lösungen zur Grünstromversorgung erarbeitet, was neben dem Ausbau von Photovoltaikanlagen ein wesentlicher Schlüssel war, um CO2–Neutralität in der Produktion zu ermöglichen. Ganz ohne Kompensation geht’s allerdings noch nicht: Gerade an Standorten, die viel Prozesswärme benötigen, wollen wir perspektivisch noch besser werden.
Wie wir von ESG-Ratings lernen können
Ob wir uns in Sachen Transformation grundsätzlich auf der richtigen Spur bewegen, zeigt übrigens nicht nur der aktuelle Aktienkurs. Neben Finanzrankings und Trendanalysen des Kapitalmarkts halten uns auch ESG-Ratings zunehmend den Spiegel vor. Für uns sind diese Scorings eine Orientierungshilfe: Was sind die „Trending Topics“ und wo müssen wir schneller vorankommen? ESG-Ratings sind deshalb auch für Investoren ein wichtiger Indikator dafür, ob wir unsere Investitionen nachhaltig einsetzen.
Mit Blick auf die Transformation unseres Unternehmens bin ich sehr zuversichtlich. Dieses positive Gefühl ist wichtig für meine tägliche Motivation bei der Arbeit. Mir ist es enorm wichtig, in einem Unternehmen zu arbeiten, das Umweltschutz zur Priorität gemacht hat. Bei Mercedes treibt uns das Ziel an, Mensch und Mobilität in Einklang mit der Umwelt zu bringen. Im Wissen, dass wir hart arbeiten, um unsere Ziele zu erreichen, kann ich beim Abendspaziergang mit unserem Vierbeiner in Wald und Wiese gut durchatmen und freue mich auf den nächsten Arbeitstag.
Jana Krägenbring-Noor
leitet die Abteilung Konzern Umweltschutz und Energiemanagement und koordiniert als Mitglied des Sustainability Competence Offices das Group Sustainability Board. Ihre Abteilung verantwortet die Themen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Energiemanagement der Mercedes-Benz AG und ist für die Einhaltung der Umwelt- und Energiepolitik zuständig.