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Nachhaltigkeitsbericht 2022

„Wir müssen uns die Strukturen anschauen, die durch unternehmerisches Handeln entstehen“

Wie lässt sich die Situation von Arbeitnehmern und ihren Familien in industriellen Lieferketten verbessern? Ines Kaempfer, Geschäftsführerin des Centre for Child Rights and Business, sagt: durch Transparenz, langfristiges Engagement und die Beseitigung der strukturellen Ursachen von Ungleichheit. Im Interview berichtet die Expertin für Kinderrechte von Gesprächen mit Minenarbeitern und zeigt auf, was Unternehmen tun können, um insbesondere Menschen am Anfang der Lieferkette eine Zukunftsperspektive zu geben.

Ines Kaempfer (Foto)

Ines Kaempfer

Centre for Child Rights and Business

Vor zehn Jahren wurden die „Grundsätze zum Schutz und zur Förderung von Kinderrechten durch Unternehmen“ veröffentlicht. Wie hat sich die Herangehensweise an Menschenrechtsfragen in der Lieferkette seither verändert?

In den letzten zehn Jahren haben wir festgestellt, dass viele Unternehmen von dem abrücken, was wir als „Checklisten-Ansatz“ bezeichnen. Sie betrachten Menschenrechte auf eine umfassendere Art und Weise, und das schließt auch die Kinderrechte ein. Rahmenwerke wie der Due-Diligence-Leitfaden der OECD für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln unterstützen Unternehmen dabei, Menschenrechtsfragen in ihrer Lieferkette strategischer anzugehen. Das ist eine sehr positive Entwicklung.

Wir sehen allerdings auch eine Gefahr, die unter anderem mit den wachsenden Berichtspflichten einhergeht. Manchmal erscheint dann die Berichterstattung selbst wichtiger als die Wirksamkeit der umgesetzten Menschenrechtsaktivitäten. Dabei hat gerade die COVID-Pandemie gezeigt, dass einige der grundlegenden Ungleichheiten, die durch unser oft ungerechtes Wirtschaftssystem verursacht werden, noch nicht behoben sind. Und so bleiben viele der grundlegenden Probleme bestehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Im Allgemeinen werden Materialien und Dienstleistungen, und damit auch Arbeitskraft, zu günstigen Konditionen in einem Entwicklungsland eingekauft. Sie machen nur einen Bruchteil der Produktionskosten aus. Die Umsatzerlöse bleiben dagegen größtenteils in den Industrieländern. Dass die Beschäftigten am Anfang der Lieferkette nach wie vor sehr wenig Geld verdienen, hat wiederum Auswirkungen darauf, ob sie es sich leisten können, ihre Kinder zur Schule zu schicken oder sich und ihre Familien gesund zu ernähren. Sehr häufig ist Kinderarbeit schlicht eine Folge von Armut. Und diese Armut wird durch strukturelle Aspekte der Ungleichheit forciert. Menschen, die im Bergbau oder in den Fabriken arbeiten, haben keine soziale Absicherung oder Krankenversicherung. Sobald ein Elternteil krank wird, besteht die Gefahr, dass Kinder die Schule abbrechen und anfangen zu arbeiten, um den Verdienstausfall auszugleichen. Leider hat COVID-19 diesen Trend verstärkt. Die Kluft zwischen denen, die Geld und Zugang zu Ressourcen haben, und denen, die dies nicht haben, hat sich in vielen Ländern vergrößert.

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Terre des Hommes fördert Partnerprojekte für Kinder in Not in 39 Ländern.

Wie können Unternehmen zum Aufbau von sozialen Strukturen beitragen?

Natürlich ist das in erster Linie eine politische Aufgabe. Aber es gibt Gründe, warum Arbeitnehmer in manchen Ländern weniger verdienen als in anderen. Einer davon ist, dass der Staat nicht willens oder in der Lage ist, die richtigen Strukturen zu schaffen, was wiederum die Preise für Dienstleistungen und Materialien niedrig hält. An dieser Stelle sehe ich Unternehmen in der Verantwortung, und zwar nicht, weil sie die Ursache für dieses Gefälle sind, sondern weil sie davon profitieren. Unternehmen haben zumindest die Verantwortung, die negativen Folgen des Gefälles auszugleichen. Sie sind nicht dafür zuständig, ein Sozialversicherungssystem aufzubauen, können aber durchaus Entscheidendes bewirken, zum Beispiel für junge Menschen. Unternehmen können die Arbeitsbedingungen für junge Menschen verbessern, indem sie mit fortschrittlichen lokalen Arbeitgebern zusammenarbeiten. Sie können dazu beitragen, dass mehr gute Arbeitsplätze geschaffen werden, mehr Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Und dass es mehr soziale Absicherung gibt, einschließlich existenzsichernder Löhne. Hochwertige Ausbildungsplätze anzubieten, wie Mercedes-Benz das in Deutschland oder China macht, ist ein sehr praktisches Beispiel dafür, wie Unternehmen einen Beitrag leisten können. Und es ist bei Weitem nicht das einzige.

Für eine Studie, die Sie zusammen mit der Nichtregierungsorganisation (NGO) „Save the Children“ veröffentlicht haben, haben Sie den Kobaltabbau in der Demokratischen Republik Kongo untersucht. Dabei haben Sie unter anderem mit Kindern und Jugendlichen aus Familien gesprochen, die in den Minen arbeiten. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei gewonnen?

Wir haben viel über die Lebens- und Arbeitsbedingungen erfahren und darüber, wie die Familien mit der Armut zu kämpfen haben. Betroffen sind vor allem die Menschen, die in kleinen, informellen Minen außerhalb der Lieferketten der Automobilindustrie arbeiten. Beeindruckt hat uns, dass die meisten Eltern und Kinder trotz ihrer oft ausweglos erscheinenden Lebensumstände großes Vertrauen in Bildung haben. Das steht deutlich im Widerspruch zu der weit verbreiteten Annahme, dass Kinderarbeit in der Region als normal angesehen wird und die Familien ihre Kinder deshalb nicht zur Schule schicken. Stattdessen haben wir oft festgestellt, dass Kinderarbeit schlicht aus der Not geboren ist. Man betrachtet Kinderarbeit als etwas Normales, weil es gar keine Alternativen gibt. Wir haben erkannt, dass wir nicht in erster Linie das Bewusstsein schärfen müssen, sondern dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, dass Kinder in der Schule bleiben können.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund Hilfsprojekte wie das "Community Development and Child Protection in Kolwezi, Congo", das Mercedes-Benz gemeinsam mit der NGO Bon Pasteur durchführt?

Es ist eine gute Initiative, und Bon Pasteur ist eine starke Organisation, der das Wohl der Kinder wirklich am Herzen liegt. Das Engagement von Mercedes-Benz ist also empfehlenswert. Generell ist es wichtig, solche Initiativen langfristig zu betrachten. Wir haben erlebt, dass Kinder in Programme aufgenommen wurden, aber nach einer Weile doch wieder arbeiten gingen, weil ihre Familien nicht in die Fördermaßnahmen eingebunden werden. Zusätzlich sind die Bildungsangebote für Kinder ab einem Alter von 14 oder 15 Jahren manchmal begrenzt. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kinder so lange unterstützt werden, bis sie auf eigenen Füßen stehen können. Das ist eine große Herausforderung, nicht nur in der Demokratischen Republik Kongo, sondern auch in anderen Beschaffungsländern. Daher sind Initiativen wie Bon Pasteur eine wichtige Maßnahme, um die Menschen vor Ort für einen bestimmten Zeitraum zu unterstützen. Darüber hinaus brauchen wir aber auch stabile Folgeprozesse.

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Die Organisation Bon Pasteur ermöglicht Kindern den Schulbesuch und unterstützt darüber hinaus die lokale Bevölkerung dabei, nachhaltige Landwirtschaft aufzubauen und ihre örtliche Gemeinschaft zu stärken.

Welche sonstigen Maßnahmen sind darüber hinaus erforderlich, um Kinderrechte zu stärken?

Ich möchte noch einmal auf das zurückzukommen, was ich eingangs als die Verantwortung der Unternehmen bezeichnet habe. Wir müssen uns die Strukturen anschauen, die durch unternehmerisches Handeln entstehen. Wenn diese Strukturen es den arbeitenden Menschen und ihren Familien ermöglichen, ein angemessenes Einkommen zu erzielen, wird sich das positiv auf alle Missstände auswirken. Ich bin der Meinung, dass wir dort ansetzen und notwendige strukturelle Veränderungen unterstützen sollten. Das ist keine leichte Aufgabe. Unternehmen müssen verschiedene Akteure zusammenbringen und für eine Zusammenarbeit gewinnen. Diesen Prozess zu unterstützen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben unserer Organisation.

Wie kann die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht zu einer Win-win-Situation für Kinder und Unternehmen werden?

Wir haben festgestellt, dass die ersten Schritte in diese Richtung bereits positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg haben. So sichert beispielsweise das verantwortungsvolle Management von Lieferketten, also der Aufbau langfristiger und vertrauensvoller Beziehungen, die Beschaffungsprozesse in herausfordernden Zeiten und sorgt für einen reibungslosen Ablauf des operativen Geschäfts. Wenn wir einzelne Zulieferer oder Werke betrachten, zeigt die Datenlage außerdem, dass Investitionen in die Belegschaft die Mitarbeiterbindung und die Produktivität zu einem gewissen Grad erhöhen. Letztendlich sind Überlegungen in diese Richtung und die Einführung eines effektiven, nachhaltigen Lieferkettenmanagements für viele Unternehmen ohnehin ein Muss, um die Arbeitskräfte wirklich wertzuschätzen und ein nachhaltiges Unternehmen zu schaffen. ESG-Kriterien in die Lieferantenverträge zu integrieren ist dabei vermutlich der wichtigste Hebel – neben Transparenz, Risikomanagement und Initiativen vor Ort.

Ines Kaempfer

ist Executive Director und seit 2021 Geschäftsführerin von The Centre for Child Rights and Business in Asien. Die gemeinnützige Organisation unterstützt Unternehmen dabei, ihre direkten und indirekten Auswirkungen auf Kinder, insbesondere im Kontext von Lieferketten, zu verbessern. Zuvor war sie Director of Learning and Impact bei Elevate Ltd., einer führenden Agentur für den Auf- und Ausbau von CSR-Kompetenzen, und auch für die Fair Labor Association (FLA) tätig. Sie hat an der Universität Freiburg (Schweiz) promoviert. Die im Interview zitierte Studie von Save the Children Deutschland und The Centre of Child Rights and Business über den Kobaltabbau finden Sie hier.

Due Diligence
Im Allgemeinen handelt es sich bei Due-Diligence-Verfahren um eine sorgfältige Prüfung, Analyse und Bewertung eines Unternehmens. Eine Menschenrechts-Due-Diligence umfasst Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreift, um Risiken in Bezug auf Menschenrechte im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit, seiner Lieferkette und der von ihm in Anspruch genommenen Leistungen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken.
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ESG
Die Abkürzung ESG steht für die englischen Begriffe Environment, Social und Governance. Im Kontext der nachhaltigen Finanzwirtschaft wird das Kürzel genutzt, wenn es bei Investitionsentscheidungen um die Berücksichtigung von Gesichtspunkten aus den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance), kurz: um ESG-Kriterien, geht.
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OECD
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development – OECD) mit Sitz in Paris ist eine internationale Organisation mit 37 Mitgliedsstaaten, die sich Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen.
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