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Nachhaltigkeitsbericht 2022

„Es klingt so einfach zu sagen, wir dürfen niemanden zurücklassen. Aber das ist es nicht“

Die G20-Mitglieder, allen voran China, die USA und die EU, spielen eine wichtige Rolle dabei, globale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Welchen Beitrag leisten sie derzeit und welche Herausforderungen sind mit der Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft verbunden? Die Nachhaltigkeitsexpertin Changhua Wu spricht über weiterentwickelte ESG-Strategien, Ansätze zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit und die Macht der Vernetzung.

Changhua Wu (Foto)

Changhua Wu

Expertin Klimaschutz-Transformationsprozesse

Nachdem sich die Weltwirtschaft 2021 von den Auswirkungen der Corona-Pandemie erholt hatte, stiegen die globalen CO2-Emissionen auf einen neuen Rekordwert an. Welche staatlichen Handlungsmöglichkeiten sehen Sie, um diesen Trend umzukehren?

Die Entwicklung lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Wir sehen beispielsweise, dass führende Volkswirtschaften die Klimaschutzagenda nutzen, um sich vom Wettbewerb zu entkoppeln. Das ist bedauerlich. Um die Emissionen bis 2030 um 43 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu reduzieren und damit ein vereinbartes globales Klimaziel zu erreichen, müssen wir zusammenarbeiten. Ohne eine engere Zusammenarbeit zwischen den größten Volkswirtschaften schaffen wir es nicht.

Auch wenn einige Volkswirtschaften miteinander konkurrieren, ähneln sich die Herangehensweisen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist der US-amerikanische Inflation Reduction Act, der der chinesischen Industriepolitik sehr ähnlich ist. Auf der anderen Seite hat sich China stark an EU-Praktiken orientiert. Insbesondere unter den großen Volkswirtschaften ist eine interessante Dynamik zu beobachten.

Als dritte Perspektive möchte ich Chinas Weg zur Bewältigung der Klimakrise in den letzten drei Jahrzehnten aufgreifen. In China lag der Fokus lange auf fossilen Brennstoffen. Dann haben wir zunächst sehr eindimensional auf erneuerbare Energien umgestellt. Mittlerweile ist es China gelungen, eine systematischere Sichtweise auf die Nachhaltigkeitslandschaft zu entwickeln. Natürlich müssen wir die Dekarbonisierung des Energiesektors vorantreiben, aber wir müssen uns auch mit den Ressourcen, dem Materialverbrauch und der Industriepolitik befassen. Ich denke, die chinesische Regierung ist hier auf dem richtigen Weg, sie setzt an verschiedenen Stellschrauben an und erzielt damit Ergebnisse.

Wirtschaftswachstum in China (Foto)
Auch das rasante Wirtschaftswachstum in China hat deutlich werden lassen, wie wichtig das Ziel einer Kreislaufwirtschaft ist.

Welche Rolle spielt die Kreislaufwirtschaft in der chinesischen Automobil- und Zulieferindustrie?

Aufgrund des rasanten Wirtschaftswachstums hat China bereits Erfahrungen mit Ressourcenmangel gemacht. Daher ist der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Bestandteil der nationalen Transformation. Das zeigt sich auch daran, dass die Regierung die nationalen Recyclingziele bis 2025 in Tonnen festgelegt hat und nicht in Prozent.

Für die chinesische Automobilzulieferindustrie ist die Kreislaufwirtschaft kein neues Konzept. Ein Schwerpunkt liegt aktuell auf Batterien, weil inzwischen die erste Generation batteriebetriebener Elektrofahrzeuge (BEV) außer Betrieb geht. Während sich die Städte also in Richtung 100 Prozent batteriegetriebener Elektrofahrzeuge bewegen, gibt es bereits einen Markt und eine organische Entwicklung von Nachfrage und Angebot. Natürlich verwenden Unternehmen auch weiterhin primäre Rohstoffe. Viele haben jedoch bereits erkannt, dass die Kreislaufwirtschaft eine entscheidende Rolle spielen wird, insbesondere mit Blick auf Elektrofahrzeug-Batterien. In Zukunft, wenn vielleicht auch noch nicht am Ende dieses Jahrzehnts, könnten 95 Prozent des Bedarfs an Material für Batterien durch Kreislaufwirtschaft und recycelte Materialien abgedeckt werden. Dadurch wird sich die Dynamik des Ressourcenverbrauchs drastisch verändern.

Wie können Partnerschaften innerhalb der Automobilzulieferkette genutzt werden, um globale Nachhaltigkeitsziele zum beiderseitigen Nutzen voranzutreiben?

Wenn es bei ESG-Themen eine gemeinsame Basis gibt, wird die Zusammenarbeit zu einem Win-win-Szenario. Alle führenden Unternehmen im Bereich der grünen Mobilität sollten ihre Kräfte bündeln, um den Fortschritt in Richtung einer vollelektrischen Zukunft zu beschleunigen und um Marktteilnehmer herauszufordern, die noch immer auf fossile Brennstoffe setzen. Natürlich gibt es Hindernisse, insbesondere für chinesische Unternehmen in der Lieferkette. Einerseits sind sie marktführend, beispielsweise in der Metallverarbeitung und bei der Herstellung von Batteriezellen. Das ist die Stärke, die sich die chinesische Industrie erarbeitet hat. Andererseits wurde nach allem, was ich beobachte, dem Thema Nachhaltigkeit bis vor Kurzem weder aus ökologischer noch aus sozialer Sicht angemessene Aufmerksamkeit geschenkt. Was Mercedes-Benz betrifft, freue ich mich zu sehen, dass der Konzern Prinzipien und ehrgeizige Ziele hat. Er verfolgt einen systematischen Ansatz in Bezug auf Elektromobilität und arbeitet proaktiv mit den Unternehmen entlang der Lieferkette zusammen, um die angesprochenen Probleme zu lösen und innovative Wege und Alternativen zu fördern. Zusammenarbeit klingt also wunderbar, ist aber sehr komplex. Ich sehe jedoch, dass sich die Tendenz dorthin entwickelt.

Batteriemontage bei Beijing Benz Automotive Co. Ltd. (BBAC) (Foto)
Batteriemontage bei Beijing Benz Automotive Co. Ltd. (BBAC) am Standort Peking.

Um die sozialen Folgen der Transformation zu bewältigen und niemanden zurückzulassen, hat die EU den "Mechanismus für einen gerechten Übergang" eingerichtet. Sehen Sie ähnliche Bemühungen in China und den USA?

Politisch gesehen ist das im Grunde eine gemeinsame Vision. Angesichts der föderalen Verfassung der USA oder der EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten ist die Umsetzung jedoch komplex. Ich beobachte, dass das politische System in China mit vergleichsweise weniger Hindernissen konfrontiert ist, wenn es darum geht, eine besondere Herausforderung im Wettbewerb rund um die Transformation zu bewältigen.

Wie bewerten Sie die aktuellen Initiativen, die sicherstellen sollen, dass niemand zurückgelassen wird?

Momentan ist es schwer, eine klare Schlussfolgerung zu ziehen. Mein allgemeiner Eindruck ist, dass die sozialen Herausforderungen zunehmen und immer mehr Menschen ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen. Es klingt so einfach zu sagen, wir dürfen niemanden zurücklassen. Aber das ist es nicht. Denn da gibt es viele Variablen. Es geht nicht nur um den finanziellen Ausgleich und die Qualifizierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Grunde haben wir es mit typischen Industrialisierungsmechanismen zu tun. Auf nationaler Ebene wird die Industrialisierung durch billige Arbeitskräfte und geringe Umweltauflagen vorangetrieben. Die aufstrebende Wirtschaft wird, global gesehen, zur Werkstatt für Staaten, die in ihrem eigenen Land Arbeitskräfte teurer einkaufen müssten. Aber an einem bestimmten Punkt des wirtschaftlichen Wachstumsprozesses wird die Industrialisierung in Bezug auf Technologie, Wertschöpfungsketten und so weiter immer anspruchsvoller. Die Herstellung von Billigprodukten verlagert sich in andere Teile der Welt. Betrachtet man Transformationen über die Zeit, stellt man fest, dass viele Menschen zurückgelassen werden. Es handelt sich um einen anhaltenden Transformationsprozess, und die politischen Entscheidungsträger haben bisher nicht genügend Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass niemand den Anschluss verliert.

Digitale und elektrische Zukunft (Foto)
Um als Unternehmen in einer digitalen und elektrischen Zukunft erfolgreich zu sein, müssen die Beschäftigten umfassend qualifiziert werden.

Welche konkreten Maßnahmen erwarten Sie von einem globalen Konzern wie Mercedes-Benz, wenn es um den fairen Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft geht?

Ich sehe, dass der Konzern seine Nachhaltigkeitsaktivitäten durch ambitioniertere Ziele und Vorgaben kontinuierlich verstärkt. Er treibt den Übergang von Verbrennungsmotoren zu einem Anteil von 100 Prozent Elektromotoren voran und achtet dabei darauf, niemanden zurückzulassen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die eigene Belegschaft und steht im Einklang mit der deutschen Politik. In dieser Hinsicht erfüllt Mercedes-Benz meine Erwartungen. Ich sehe aber auch einige Herausforderungen auf den Konzern zukommen. Wenn es sich um die Wertschöpfungskette dreht und man über Deutschland und die EU-Märkte hinausgeht, ist es wichtig, die Agenda für einen gerechten Übergang beizubehalten und zu versuchen, mit lokalen Entscheidungsträgern und Partnern entlang der Lieferkette zusammenzuarbeiten. Hier würde ich mir aufseiten des Konzerns noch mehr Klarheit wünschen.

Was lässt Sie hoffen, dass die Weltgemeinschaft die Hürden auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft überwinden wird?

Es ist ein kontinuierlicher Prozess. Alle Länder müssen sich für eine gerechtere und integrativere Gesellschaft einsetzen. Um Hindernisse zu überwinden, müssen wir das Bewusstsein der Menschen schärfen und Verhaltensänderungen herbeiführen. Um also wirklich jeden Einzelnen ins Boot zu holen, müssen wir Menschen zum kollektiven Handeln bewegen. Die verantwortungsvolle Nutzung sozialer Medien bietet in dieser Hinsicht ein großes Potenzial, denn sie schafft Verbindungen unabhängig von Zeit und Raum und kann die Aufmerksamkeit gezielt auf spezifische Themen lenken. Es gibt einige gute Beispiele dafür, wie Unternehmen diese Macht nutzen, um Nachhaltigkeitsthemen stärker in den Fokus zu rücken und Veränderungen zu organisieren. So gibt es beispielsweise einige wirksame Initiativen gegen Plastikmüll. Das mag sich unbedeutend anhören, aber es ist ein Schritt nach vorn. Und wenn erst einmal genügend Personen erreicht werden, kann ein Trend entstehen. Ich glaube, dass die Summe der Maßnahmen, die darauf abzielen, die Welt gerechter und inklusiver zu machen, letztendlich eine neue Realität schaffen wird.

Changhua Wu

Changhua Wu ist Politikberaterin, Analystin und Strategin für Klimaschutz-Transformationsprozesse mit Spezialisierung auf China. Derzeit ist sie China-Direktorin der TIR Consulting Group, deren Präsident der Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin ist. Sie ist Chefstrategin bei CN Innovation und CEO bei The Future Innovation Center Beijing. Changhua Wu ist Mitglied des Beirats für Integrität und Nachhaltigkeit der Mercedes-Benz Group AG. Sie hat Master-Abschlüsse in Journalismus, Umweltpolitik und Wirtschaft von Universitäten in China und den Vereinigten Staaten.

Dekarbonisierung
Unter Dekarbonisierung versteht man die Umstellung auf eine kohlenstofffreie Wirtschaftsweise.
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ESG
Die Abkürzung ESG steht für die englischen Begriffe Environment, Social und Governance. Im Kontext der nachhaltigen Finanzwirtschaft wird das Kürzel genutzt, wenn es bei Investitionsentscheidungen um die Berücksichtigung von Gesichtspunkten aus den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance), kurz: um ESG-Kriterien, geht.
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Inflation Reduction Act
Der Inflation Reduction Act aus dem Jahr 2022 ist ein Bundesgesetz der Vereinigten Staaten. Es zielt unter anderem darauf ab, die Inflation und gleichzeitig die Kosten für Medikamente im Gesundheitswesen zu senken. Weiterhin soll es Investitionen in die heimische Energieproduktion insbesondere zur Erzeugung sauberer Energie fördern, um den Klimawandel zu begrenzen.
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Kreislaufwirtschaft
Bei der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) handelt es sich um einen Ansatz, bei dem vorhandene Materialien und Produkte so lange wie möglich genutzt, repariert, wiederverwendet oder recycelt werden, um ihren Lebenszyklus zu verlängern. Dadurch werden Abfälle und der Bedarf an Primärrohstoffen minimiert. Die Kreislaufwirtschaft gilt als Gegenmodell zum linearen Wirtschaften, bei dem Materialien und Produkte häufig nur einmal genutzt werden, und setzt bereits im Design auf die spätere Wiedergewinnung der verarbeiteten Materialien.
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